Der Beginn der fleischlosen Zeit – Die „Aubergine“
„Die gewaltsamste Waffe der Welt ist die Essgabel“, hat Mahatma Gandhi einmal gesagt. Auch die 40jährige Irma, ein bisschen übergewichtig, das Herz am rechten Fleck und voller Leidenschaft für ihr neues Restaurant (und den Mitarbeiter Josh), wird sich das wohl gedacht haben. Wenn auch nicht in einer solchen selbstlosen und idealistischen Absicht wie Gandhi seiner Zeit. So verwandelt sie das traditionelle Gasthaus „Zum Hirschen“, das von der Zubereitung üppiger Fleischspeisen lebt, bei ihrer Übernahme in ein vegetarisches Lokal namens „Aubergine“.
Passend zum hippen Namen ihres Ladens trägt sie zur Arbeit in der Küche ein dunkelviolettes Outfit mitsamt einer Kopfbedeckung mit Stiel. Wie eine echte Aubergine eben! Genau diese Kreativität macht Irma aus. Sie stellt die rothaarige Lucy, eine junge Schulverweigerin, und ihre klatsch- und tratschbegeisterte Freundin Nicole, die ein bisschen einfältig, aber immer freundlich und auf der Suche nach pikanten Geheimnissen ist, ein. Zudem rundet der charmante Langzeitstudent Josh, der sein Studium an den Nagel gehängt hat, das komplette Team rund um die „Aubergine“ ab. Zwischendurch hilft ein Gast, der von allen nur „Gemüsemann“ genannt wird, beim Schneiden des Gemüses und bekommt sein Essen dafür gratis.
Eine generationenübergreifende Truppe im Ladenlokal
Diese buntgemischte, generationenübergreifende Truppe können die Lesenden nun über rund 300 Seiten kennen lernen. Es gibt spaßige und herzliche Momente, aber auch, wie es bei zwischenmenschlichen Beziehungen völlig normal ist, stressige und egoistisch angehauchte Situationen. Genau diese annähernd perfekte Stimmung, aber auch die Missstände, vermag Ingrid Noll mit ihrem typisch ironischen Humor darzustellen, wobei es sich hier leider nur noch um einen ironisch angehauchten Humor handelt. Die Bissigkeit ihrer Kriminalromane trifft sie in diesem Roman nicht, aber vielleicht ist das hier auch gar nicht ihre Absicht. Was man auf jeden Fall als Erkennungsmerkmal der Schreib- und Erzählweise der 88jährigen Autorin wiedererkennen kann, ist, dass sie es kontinuierlich schafft, Figuren unterschiedlicher Herkünfte mit verschiedensten Ideen jeglichen Alters zusammen zu bringen – und das so, dass es nicht aufgesetzt wirkt. Die Küche und der Gastraum der „Aubergine“ sind der absolut geeignete Ort dafür.
Auch vor Jugendsprache schreckt Noll nicht zurück
Das Besondere an Nolls Erzählstil ist, dass sie jeder Figur eine eigene Stimme gibt. Dabei passt sie ihren Duktus genau an. So nutzt sie in Lucys Part beispielsweise jede Menge jugendsprachlicher Ausdrücke und man ist überrascht, mit welchen Äußerungen sich die Autorin auskennt, denn das Ganze wirkt nicht im Geringsten gekünstelt. Auch die Figur des charmanten Josh, der die Buchhaltung Irmas übernimmt und sich für die junge rothaarige Frau statt für die Inhaberin interessiert, passt ins Geschehen. Vor allem der 80jährige „Gemüsemann“ schenkt so manche Überraschung. Jede Figur kommt zu Wort, manchmal gibt es inhaltliche Redundanzen, die nicht hätten sein müssen, aber es wird deutlich, wie die eigene Sichtweise auf die Geschehnisse ist und auch das birgt so manche Enthüllung.
Fazit
Wer einen Mord erwartet, der irrt. Hier finden sich keine Leichen oder Tatorte, aber die bloße Beschreibung dessen liegt Noll sowieso nicht. Es geht eher um das Miteinander, die Verdächtigungen, das Verbergen so mancher Sehnsucht und auch die Eifersucht. Im Grunde hat doch jeder, sprichwörtlich gesagt, eine Leiche im Keller.
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