Ein leiser Roman, aber mit großer inhaltlicher Wucht!
5. Juni 1970: Es ist der Tag, an dem Ben und Mimi Wilf mit ihrer kleinen Tochter Sarah die Stufen zu ihrem neuen Zuhause hochgehen: Division Street Nr. 18 im kleinen kalifornischen Städtchen Avalon. Hiervon haben der erfolgreiche Arzt Ben und seine attraktive Frau immer geträumt. Sie sprühen vor Leben und freuen sich auf das, was vor ihnen liegt. Vierzig Jahre wird dieser Ort und die unterschiedlichsten Ereignisse, die sie dort erleben, ihr gemeinsames Leben prägen: die Geburt ihres Sohnes Theo, ein furchtbarer Autounfall im Sommer 1985, ein dunkles Familiengeheimnis, über das niemand sprechen wird, die dramatische Geburt des Nachbarkindes Waldo an Silvester 1999 oder das Verschwinden Mimis kurz vor Weihnachten 2010. Diese Ereignisse werden nicht nur das Leben der Familie Wilf für immer verändern, sondern sie auch eng mit dem Schicksal einer Nachbarsfamilie verbinden. Hier in Avalon scheint Zeit und Raum beinahe still zu stehen und Vergangenheit wieder gegenwärtig zu werden.
US-Bestseller
Die US-amerikanische Autorin Dani Shapiro wurde 1962 in New York geboren. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin ist sie Drehbuchautorin, Dozentin und Gastgeberin des erfolgreichen Podcasts „Family Secrets“. Ihr Roman „Leuchtfeuer“, der hierzulande beim Hanser Verlag erscheint, wurde mehrfach ausgezeichnet und war ein großer Bestseller in den USA 2022. Dani Shapiro lebt mit ihrer Familie in Connecticut und adaptiert derzeit ihren Roman „Leuchtfeuer“ für eine Fernsehserie.
Shapiro erzählt ihren Roman nicht chronologisch, sondern springt in den Zeiten und Handlungsorten ebenso hin und her wie bei den einzelnen Erzählperspektiven. Gleichzeitig legt die Autorin das Leben aller Protagonisten wie beim Häuten einer Zwiebel immer mehr offen, zeigt deren innere Verletzlichkeit und die nagenden Selbstzweifel der Figuren. Alles fügt sich erst nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen.
Schicksalsschläge
„Leuchtfeuer“ ist ein Roman, der bewegt, der einen beim Lesen nicht mehr loslässt, der unter die Haut geht und emotional packt. Ein zutiefst trauriger Roman, der aber auch Trost spendet und beinahe versöhnlich endet. In verschiedenen Episoden wird das Leben zweier Familien geschildert, die das Schicksal zusammengeführt hat. Man muss sich aber auf Shapiros Erzählstil einlassen, der nicht frei von esoterischen Denkweisen ist und mitunter vielleicht etwas zu melodramatisch daherkommt. Die Amerikanerin schafft es gleichzeitig aber auch, wunderbare, ganz leise, atmosphärisch sehr dichte Momente einzufangen, die lange nachhallen.
Shapiro erlaubt uns kaleidoskopartige Blicke auf das Leben der einzelnen Figuren, wechselt Perspektiven, Raum und Zeiten, bis sich alles ineinander auflöst. Ausgangspunkt ist ein dramatischer Verkehrsunfall, bei dem das junge Nachbarmädchen Misty stirbt. Viele geben sich daran die Schuld: Theo, weil der damals 15-jährige Junge ohne Fahrerlaubnis den Unfall direkt vor dem Haus der Wilfs verursachte, seine ältere Schwester Sarah, weil sie Theo dazu ermutigte zu fahren, und ihr Vater Ben, der Erste Hilfe leisten wollte und dem Mädchen vielleicht dadurch das Genick brach. Doch statt zu reden, schweigen alle auf Wunsch der Mutter. Eine falsche Entscheidung, wie sich Jahre später zeigt. Während Sarah, die erfolgreich als Produzentin arbeitet, zur Alkoholikerin wird, flüchtet Theo aus der Enge Avalons ins Ausland. Später wird er versuchen, doch noch irgendetwas wie ein Leben hinzubekommen.
Leuchtfeuer im Dunkeln
Das verbindende Moment des Romans ist sicherlich die Freundschaft zwischen Ben und dem zehnjährigen Waldo, einem hochbegabten, aber einsamen Nachbarjungen, der nicht weiß, dass er Ben sein Leben zu verdanken hat. Über Jahre und Jahrzehnte hinweg werden sich die beiden immer wieder sprechen und sehen - denn beide verbindet ein gemeinsames Schicksal. Zuvor muss Ben aber miterleben, wie seine große Liebe Mimi zunehmend dement wird. Als er sich nicht mehr alleine um sie kümmern kann, bringt er sie in eine Pflegeeinrichtung. Doch am Tag, bevor Ben zu ihr ziehen möchte, verschwindet seine Frau plötzlich. Was noch keiner ahnt: Auch diese Nacht wird dem Leben vieler eine neue Richtung geben. Trotz der Dunkelheit des Lebens scheint es für alle aber immer wieder „Leuchtfeuer“ zu geben, die ihnen die Richtung vorgeben und die voller Hoffnung sind.
Fazit
„Leuchtfeuer“ ist ein Roman über Verlust und Akzeptanz, Schuld und Verantwortung, Trauer und Kraft, Verlassenheit und Freundschaft. Vor allem erzählt er aber viel Wahres über das Leben - mit all seinen Schicksalsschlägen und Schlaglöchern. Vor allem bleibt aber die wunderbare Erkenntnis, dass die Vergangenheit bestehen bleibt und nicht im Rückspiegel verschwindet.
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