Wir sind wild und wunderbar
- Harper Collins
- Erschienen: April 2024
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Weder AHA- noch OHO-Momente.
Alexei war noch nie die schlagfertigste Person. Das ändert sich auch nicht, als er bei seiner Wanderung den ihm fremden Ben vor einer Klapperschlange rettet. Lieber zieht er sich in seine Gedanken zurück oder lauscht den zahlreichen Vögeln, um sie anhand des Gesangs beim Namen zu nennen. Dass es genau diese Eigenschaft ist, die ihn für Ben faszinierend macht, hätte er sich nie vorstellen können. Und doch nähern sich die beiden einander an. Doch hat eine Beziehung Zukunft …?
„Denn, na klar: Die einzige Frage, die ihm schließlich über die Lippen kam, war die, die man sich im Kindergarten am häufigsten stellt. Cool. Echt der Hammer.“
Der Pacific Crest Trail, kurz PCT, beginnt an der mexikanischen Grenze und führt durch die Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington bis nach Kanada. Tausende Wandernde nehmen die beschwerliche, aber auch abwechslungsreiche Strecke auf sich, um dem Stress des Alltags zu entfliehen, die Natur zu genießen oder sich selbst herauszufordern. Alexei will vor allem eins: sich neu definieren. Denn offensichtlich ist er nicht richtig so, wie er ist. Kürzlich erst wurde er von seinen Eltern vor die Tür gesetzt, als er sich bei ihnen outete. Abseits dessen fühlt er sich stets fehl am Platz und weiß nicht recht, mit anderen Menschen umzugehen. Die Einsamkeit der Natur ist da genau das Richtige, um dem gesellschaftlichen Druck zu entfliehen und Alexei 2.0 zu planen.
Das Ziel ist gesetzt – doch ausgerechnet eine Klapperschlange macht dieses zunichte: Alexei hat das gefährliche Reptil mitten auf der Wanderroute noch rechtzeitig entdeckt, doch der heranstürmende Fremde hinter ihm nicht. Ohne nachzudenken, streckt Alexei seinen Arm aus und kann den ahnungslosen Wanderer so vor dem giftigen Biss retten. Dieser stellt sich als Ben vor. Alexei ist überfordert von der Situation: Ben plappert fröhlich drauf los und überlastet damit sein nicht für solche Situationen ausgelegtes Gehirn; zudem ist Ben verdammt heiß – und das bringt Alexeis Schaltkreise vollends zum Schmelzen.
Dennoch schließen die beiden einen Pakt und wandern gemeinsam weiter. Ben lernt, dass es manchmal gar nicht so verkehrt ist, einfach zu schweigen. Und Alexei lernt, was es bedeutet, ausgeglichen zu sein und im Hier und Jetzt zu leben. Auf diese Weise unterstützen sich die beiden und lernen sich immer besser kennen. Doch je mehr sie voneinander wissen und lieben lernen, umso größer wächst in ihnen die Angst, dass die Gefühle, die sie füreinander entwickeln, zur falschen Zeit kommen könnten …
Eher flach und farblos
Verschneite Berge, dichte Wälder oder heiße Wüsten – der PCT bietet wunderschöne Landschaften und einzigartige Naturmomente, die auch auf dem Cover festgehalten sind. Verträumte, magische Farben finden sich hier, ein magischer Sonnenaufgang und eine Wildnis, in der das Abenteuer lockt. Davor zwei junge Männer, händchenhaltend, auf eben jene Wildnis zulaufend. So in etwa habe ich mir die Geschichte um Alexei und Ben, die im Übrigen jeweils abwechselnd von ihnen erzählt wird, vorgestellt: romantisch, wild und mit einer gehörigen Portion Abenteuerlust.
Die Romantik ist tatsächlich hier und da zu finden, wird aber viel zu oft überrollt von den expliziten Sexszenen, die – man mag es kaum glauben – oftmals die Stimmung kaputtmachen. Die wilde Natur kann man dagegen meist nur erahnen, obwohl die Autorin sich bemüht, den Trail authentisch zu beschreiben. Allerdings fühlt man sich eher zu einem Spaziergang im heimischen Stadtwald versetzt als in die raue Wildnis. Das mag auch damit zusammenhängen, dass man beinahe in Dauerschleife von den Gedanken, Problemen und Gefühlen der beiden (nicht unsympathischen) Protagonisten umspült wird, anstatt wirklich mal die Stimmung auf sich wirken lassen zu können. Dementsprechend ist die Abenteuerlust gleich Null.
Insgesamt würde ich die Geschichte als flach und farblos bezeichnen. Zwischendurch habe ich mich dabei erwischt, wie ich einfach so richtig keine Lust mehr hatte, das Buch weiterzulesen. Schwung in die Sache kommt dagegen, als die beiden auf die nüchterne Ruby stoßen oder als sie Bens Familie besuchen. Hier zeigt sich dann das Talent der Autorin, wundervoll herzliche, authentische und individuelle Charaktere zu zaubern, die der Geschichte ihren eigenen Stempel aufdrücken. Leider waren diese Stempel aber nicht groß genug, um die komplette Story zu verschönern.
Fazit
In dem Buch kommt es weder zu großartigen AHA-Momenten, die man auf dem Weg der Selbsterfahrung erwarten dürfte, noch zu den OHO-Momenten, die man bei der Betrachtung unbeschreiblicher Naturerfahrungen erfährt. Die wenigen Lichtblicke reichen leider nicht aus, um das zu kompensieren.
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