Gussie

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  • Erschienen: April 2024
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Gussie
Gussie
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Monika Wenger
901001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2024

Eine Implosion ist genauso effektiv wie eine Explosion, man sieht sie nur nicht.

Auguste “Gussie” Zinsser war die zweite Ehefrau von Konrad Adenauer. Neunzehn Jahre jünger als der Witwer und Vater dreier Kinder, übernahm sie früh Verantwortung. Nun liegt sie todkrank im Krankenhaus, blickt zurück und gibt sich ihren Erinnerungen hin.

Eine kluge und eigensinnige Frau

Gussie war der Liebling ihres Vaters, des Arztes Ferdinand Zinsser. Für ihn war es selbstverständlich, seiner Tochter Bildung und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Ein eher ungewöhnlicher Anspruch für die damalige Zeit. Ihr Vater war es auch, der der Heirat mit dem wesentlich älteren Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer zustimmte. Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter. Für Gussie ist die Heirat eine Entscheidung gegen die eigene Karriere und für ein Leben an der Seite des introvertierten Politikers.

«Was man gewinnt, schreibt man sich selbst zu, was man verliert, ist dem Schicksal geschuldet. Jeder Weg ist immer auch ein Umweg. Erst ganz am Ende sieht man, ob und wo man falsch abgebogen ist und wohin der Weg geführt haben könnte, wenn man einen anderen Abzweig gewählt hätte.»

Auf einen Schlag wird Gussie Stiefmutter von drei kleinen Kindern. Später wird sie selbst Mutter von fünf Kindern, von denen eines bereits im Säuglingsalter stirbt. Sie kümmert sich um ihre Familie und unterstützt nebenbei ihren Mann bei seiner politischen Karriere, hält ihm den Rücken frei. Auch in den schwierigsten Zeiten steht sie ihm bei, kümmert sich um ihn. Das eheliche Zusammenleben ist für sie nicht immer einfach. Ihr Mann ist ein schweigsamer, zurückhaltender Mensch. Gussie ist das genaue Gegenteil. Doch so gegensätzlich die beiden auch sind, sie finden zueinander.

«Weil ich etwas Wesentliches verstanden habe: Wer nicht zweifelt, der kann nicht lieben. Und welchen Wert hätte das Leben ohne Liebe?»

Dicht erzählt

Christoph Wortberg erzählt Gussies Rückblick auf ihr bewegtes Leben nur in Ausschnitten und nicht im Detail. Vielmehr sind es einzelne Fragmente aus denen sich dann die Geschichte entwickelt. Es sind jedoch diese bruchstückhaften Rückblenden, die eine unmittelbare Nähe erzeugen und sie so lebendig erscheinen lassen. Immer wieder kehrt die Erzählung zu der todkranken Patientin zurück, um dann wieder einer Erinnerung nachzugehen. Aus dieser Perspektive wird das Leben Gussie Adenauers greifbar und berührt.

Jedes Kapitel beginnt mit einem kurzen Auszug aus Briefen zwischen Gussie und ihrem Vater oder Konrad Adenauer. Sie geben einen Einblick in die tiefe Verbundenheit zwischen Vater und Tochter. Entstanden ist ein berührender Roman, der in konzentrierter Form gehalten ist. Doch gerade das macht ihn so eindringlich. Ohne Schnörkel und mit Blick auf das Wesentliche ist Christoph Wortberg ein bestechendes Buch über die Frau an der Seite Konrad Adenauers gelungen.

Fazit

Christoph Wortberg erzählt die Geschichte von Auguste «Gussie» Adenauer auf besondere Weise. Er zeichnet wirkungsvoll das Bild einer aussergewöhnlichen Frau, die sich mit ganzem Herzen für ihren Mann und ihre Kinder einsetzte und dabei ganz sie selbst blieb. Es ist faszinierend und beeindruckend, wie viel der Autor mit wenigen Worten auszudrücken vermag. Eine bewegende Lektüre, die man nicht so schnell vergisst.

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