Bewährungsprobe einer scheinbaren Idylle.
Peter Huth hat als Journalist bei diversen Medien in gehobenen Positionen gearbeitet. Literarisch hat er bisher einige Sachbücher geschrieben und einen Thriller, in dem er in Berlin eine Apokalypse heraufbeschwört. In seinem 2. Roman befasst sich Huth mit einem weniger düsteren aber nichts desto trotz genauso brisanten Thema: Fake-News, die Macht von Social Media und die scheinbar heile Welt der „Bussi-Bussi-Gesellschaft“.
Fischbach und der Honigmann
Fischbach ist für Tim und Fine ihr Paradies. In der Gemeinde vor den Toren Berlins haben sie eine Doppelhaushälfte mit anständig großem Grundstück gekauft; sie haben Freunde gefunden, die, wie sie, wohl situiert sind und auch Kinder haben; die Schule eben dieser Kinder ist reform-orientiert und der „Maikäfer“ daneben versorgt die Schülerinnen und Schüler mit pädagogisch wertvollem Spielzeug. Jetzt kommt ein neues Geschäft hinzu, gleich gegenüber dem „Maikäfer“. Der Besitzer spricht dagegen die Mütter an, verkauft Dekoartikel, Duftkerzen, Tee und auch Honig – was ihm den Namen „Honigmann“ einbringt. Alles scheint perfekt. Doch dann kommt ein Gerücht über den Honigmann auf, welches das Zusammenleben in Fischbach auf eine harte Probe stellt und die Fassade dieser scheinbar so heilen Welt bröckeln lässt.
Der Antagonist und die Protagonisten
Der titelgebende „Honigmann“ kommt erstaunlich selten im Buch vor. Seine Handlungen beschränken sich auf ganz kurze Sequenzen, auch wenn seine bloße Existenz alles ins Rollen bringt. Im Mittelpunkt stehen hauptsächlich die befreundeten Familien der Siedlung und am Rande auch die Eltern der „Schneckenschule“. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass sich diese und die drei Familien von den ursprünglichen Bewohnern des kleinen Fischbach abheben. Fine ist eine relativ bekannte Schauspielerin, Tim verdient gutes Geld mit Computerprogrammen, ihre Tochter Carla ist ein absolutes Wunschkind. Albert arbeitet als Controller, Louisa ist Malerin und kümmert sich um die drei Kinder. Ihnen geht es finanziell hervorragend, anders als Katja und Robert mit ihren beiden Söhnen. Katja muss die Familie mit ihrem Gehalt als Chefredakteurin über Wasser halten, seitdem Robert arbeitslos ist. Als Anlaufpunkt dieser Gemeinschaft fungiert der Besitzer der „Mühle“, früher Szenewirt diverser In-Locations in Berlin. Bei ihm gibt es einen Latte, Garnelen, Prosecco und Tipps.
Alle müssen das Gesicht wahren, thematisieren ihre Probleme nur selten und spielen sie dann auch noch herunter. Huth beschreibt eine wohlhabende Mittelschicht, die materiell orientiert ist, vordergründig sozial engagiert, aber in Wahrheit nur an sich selbst interessiert ist. Als das Gerücht um den „Honigmann“ die Runde macht, kommen die schlechten Seiten der Gemeinschaft ans Licht. Die Situation schaukelt sich immer mehr auf, Fronten bilden sich und Fischbach steht kurz vor dem großen Knall. Zum Schluss muss ausgerechnet die den größten Preis zahlen, die eigentlich am wenigsten Böses im Sinn hatte.
Packend, wie ein Krimi
Peter Huth erzählt die Geschichte in verschiedenen Perspektiven, auch einer neutralen. Das beleuchtet das Drama aus unterschiedlichen Blickwinkeln und zeigt, wie die Fassade der scheinbar heilen Welt für jeden anders bröckelt. Ganz langsam kristallisieren sich die Fragen nach Solidarität, Gerechtigkeit und Selbstjustiz heraus. Gleichzeitig übt Huth eine scharfe Gesellschaftskritik, die er aber gekonnt verpackt. Denn was anfangs wie ein Akt der Solidarität aussieht, entpuppt sich als manipulative Zerstörung und egoistische Gruppendynamik, in der man gerne mit dem Strom schwimmt, keine konträre Position wagt, bloß um nicht ausgeschlossen zu werden. Dieses Drama liest sich leicht, obwohl es keineswegs lapidar heruntergeschrieben ist. Es ist spannend und erschreckend zugleich. Und es ist bei genauerem Hinsehen nicht so weit von der Realität entfernt.
Fazit
Ein unbedingt zu empfehlendes Buch, das mit Gesellschaftskritik nicht spart, aber so spannend wie ein Krimi ist. Peter Huth hat mit „Der Honigmann“ einen literarischen Volltreffer gelandet, der uns den Spiegel vorhält und sehr nachdenklich macht.
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