Mitternachtsschwimmer

Mitternachtsschwimmer
Mitternachtsschwimmer
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André C. Schmechta
841001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2024

Evan, Grace und das wahre Leben.

Ballybrady, ein beschauliches Örtchen an der irischen Küste. Hierhin verschlägt es Evan, als er eine Auszeit nimmt, und versucht Gegenwart und Vergangenheit zu entfliehen.

„Wie soll man glücklich sein, wenn um einen herum alles scheiße ist?“

Evan hadert mit sich. Die Ehe mit seiner Frau Lorna ist nach dem Tod der gemeinsamen kleinen Tochter belastet. Für diesen schweren Schicksalsschlag gibt er sich persönlich die Schuld. Ein liebevoller väterlicher Zugang zu seinem tauben Sohn Luca fällt ihm hingegen schwer. In Ballybrady mietet er für eine Woche ein Cottage der alleinlebenden Grace. Aus ursprünglich einer geplanten Woche soll dann ein längerer Aufenthalt werden. Denn als Corona auch fernab an der irischen Küste Einzug hält, ist Evan vorerst gestrandet. Doch genau deswegen soll sein Leben eine entscheidende Wendung nehmen.

Es sind überaus eigenwillige, aber liebenswerte Figuren, die uns im Roman von Roisin Maguire begegnen und uns schon bald ans Herz wachsen werden. Gut, man braucht schon ein paar Seiten, bis wir uns auch der schroffen Grace offenherziger zuwenden. Mit ihrer recht ruppigen Art - nicht nur ihrem Hund gegenüber - hat die Fünfzigjährige anfangs schon etwas Abweisendes. Die Bewohner in Ballybrady behaupten gar, sie sei ein wenig verrückt. Doch auch die vermeintlich fest im Leben stehende, kluge und starke Grace versucht ihre Vergangenheit zu bewältigen.

Eine feinfühlige und hintergründige Beziehungs- und Familiengeschichte

Evan wirkt hier draußen in der Natur zunächst wie ein Fremdkörper in der eingeschworenen Dorfgemeinschaft. Aber die Nachbarn kümmern sich immerhin um ihn und mit Shop-Besitzerin Becky freundet er sich ein wenig an. Roisin Maguire beginnt langsam die Charaktere und ihre Lebensgeschichten zu verflechten. Aus den anfänglich vorsichtigen und abtastenden Begegnungen entfaltet sich eine feinfühlige und hintergründige Beziehungs- und Familiengeschichte.

Mit dem Beginn der Pandemie brechen neue, herausfordernde Regeln ein. Doch das Leben mit Kontaktverboten und Abstandsgeboten zum Stillstand zu bringen, verändert sich die Dynamik in eine andere Richtung. Das hat mit den Küstenbewohnern zu tun, aber ebenso mit dramatischen Ereignissen, die sich ereignen sollen. Denn das Meer ist nicht nur stimmungsvoller und einnehmender Naturschauplatz, sondern ebenso aufwühlendes und verbindendes Element der Bewohner und Gäste in Ballybrady, das in seiner Rauheit eben auch Gefahren birgt.

Maguire erzählt lebendig, beobachtet ihre Figuren mit einem wunderbaren Gespür für kleine Details. Sie verleiht Evan, Grace und all den anderen dezent Konturen, verzichtet auf übertrieben kitschige Motive. Dafür schafft sie auch kraftvolle, symbolische Bilder. So etwa das Kajak, mit dem sich Evan nach langer Zeit mal wieder aufs Meer begibt, der Last der Vergangenheit entkommen möchte und vielleicht mehr als nur Freiheit sucht. Die Geschichte wird im weiteren Verlauf packender, erhält etwas mehr Tiefe. Denn auch Luca und die Nichte von Grace werden eines Tages hinzustoßen.

Fazit

„Mitternachtsschwimmer“ ist die berührende Geschichte von Evan, Grace. Und es ist eine Geschichte über das wahre Leben, in dem eben nicht alles nach Plan läuft. Wenn sich die Gefühle langsam ihren Weg bahnen, Mut und Vertrauen helfen, sich Schmerz und Wahrheit zu stellen, dann sind auch wir mitgerissen. Es geht mitunter ernst und tragisch zu, zugleich aber können wir Dank einer schönen Prise Humor immer wieder schmunzeln. So verweile ich nach der letzten Seite gerne noch für ein Weilchen in Ballybrady und seinen liebevollen Menschen – allen voran Evan und Grace.

Mitternachtsschwimmer

Roisin Maguire, DuMont

Mitternachtsschwimmer

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