Der Himmel, unter dem wir Kinder waren
- C. Bertelsmann
- Erschienen: April 2024
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Heimatliebe, Verluste und Krieg als grundlegende Themen.
Marion Lagoda hat schon in ihrem Debüt-Roman „Ein Garten über der Elbe“ Realität und Fiktion verbunden und in die Geschichte auch ordentlich viel von ihrer Liebe zu Gärten eingebracht. Auch in ihrem jetzt vorliegenden zweiten Roman greift sie auf die bewährte Mischung zurück und ergänzt diese mit ihren eigenen Erfahrungen einer Kindheit im Bergischen Land.
Clara muss viel verkraften
Clara wächst in den 1930er Jahren in einer kleinen Hofschaft im Bergischen Land auf. Sie spielt mit den Nachbarskindern, liebt ihre esoterisch angehauchte Tante Friedchen und ihre Eltern, die freigeistig und bibliophil sind. Ihre Mutter arbeitet als Buchhändlerin, ihr Vater ist Redakteur einer kommunistischen Zeitung. Als Hitler an die Macht kommt, ändert sich das alles. Ihr Vater wird verhaftet, die Mutter verliert ihre Arbeit. Als Kind eines Widerständlers und Kommunisten geächtet, isoliert sich Clara immer mehr. Während ihre Mutter versucht den Kontakt zum Ehemann aufrecht zu erhalten, ist Claras einziger Fixstern Artur, ihr Patenonkel. Doch der ist auch bekennender Kommunist und verschwindet bald in den Spanischen Bürgerkrieg. Als in Deutschland der Krieg ausbricht, scheint auch die sonst so verschworene Dorfgemeinschaft zu bröckeln. Wem kann man noch trauen? Clara wächst in dieser schwierigen Situation auf, muss schwere Verluste und Verrat verkraften, verliebt sich aber auch und erlebt schlussendlich das Kriegsende, das ihr ganz neue Perspektiven eröffnet.
Artur Becker
Auf einem Flohmarkt stieß die Autorin durch Zufall auf ein Buch über den Kommunisten Artur Becker. Während dieser in der DDR als „Held der Arbeiterklasse“ galt, dort als ehemaliger KPD-Reichstagsabgeordneter ein hochgeachteter Kommunist und „Kämpfer für den Sozialismus“ mit „umfassenden Ehrungen“ war, ist sein Name nach der Wende immer mehr in Vergessenheit geraten. Er stammte aus dem Bergischen Land, was neben einem „mit dem Kommunismus sympathisierenden Großvater“ eine weitere Parallele zur Autorin war und diese animierte, den Widerstand der Kommunisten gegen die Nazis zu thematisieren. Und welche Örtlichkeit für diese Geschichte liegt in diesem Fall näher als das Bergische Land mit seinen sanften Hügeln und weiten Feldern?
Mit viel Humor und noch mehr Feingefühl
Marion Lagoda lässt Clara die Geschichte selbst erzählen – wie man am Schluss erfährt, für ihre Enkelin Gesa. Über dem ganzen Geschehen steht immer die Frage „ob es das alles wert gewesen“ ist. Die Verluste, der Krieg, die Ausgrenzung und der viele Schmerz hinterlassen tiefe Narben. Doch daneben hat die schwere Zeit auch die Konstellation und das gegenseitige Vertrauen innerhalb der Familie erschüttert, was fast noch schmerzhafter für Clara war. Ihre Lebensgeschichte wird von Lagoda mit viel Humor und noch mehr Feingefühl erzählt. Man kann sich kaum losreißen von der kleinen Dorfgemeinschaft, die unter den Nazis auseinanderzudriften droht und dennoch genügend Zusammenhalt hat, um den Krieg zu überstehen.
„Wer immer noch eine kleine oder größere Rechnung mit jemandem offen hatte, bekam in der Nazi-Zeit die Gelegenheit zum Begleichen“.
Mit eingänglichem Stil und viel Gespür für die Situation, wird der Leserschaft eine Gruppe von, durch die Nazis Verfolgten nähergebracht, die sonst eigentlich kaum in Erscheinung tritt - die Kommunisten in Deutschland. Was es für dieses Menschen und ihre Familie bedeutete, dem Kommunismus anzuhängen, und welche Konsequenzen es nach sich ziehen konnte, wird sehr eindringlich klar gemacht. Dennoch ist die Geschichte nicht melancholisch oder durchgehend tragisch. Gerade durch den sehr oft aufblitzenden Humor kann man sich manchmal ein Lachen nicht verkneifen.
Ein Loblied auf das Bergische Land
Wer das Bergische Land nicht kennt, weiß nach der Lektüre auf jeden Fall wesentlich mehr von diesem Landstrich rechts des Rheins im heutigen Nordrhein-Westfalen. Die Liebe der Autorin für diese Region im Rheinland ist stets spürbar. Clara kann sich nicht vorstellen, die kleine Ortschaft zwischen den sanften Hügeln zu verlassen und kommt zuerst auch nur einmal im Jahr in die nahe Kreisstadt. Die Häuser mit ihrem Fachwerk und dem Schiefer werden genauso erwähnt, wie die misstrauische Konkurrenz zwischen katholischen und evangelischen Christen. Clara fährt mit ihrem Rad durch Felder und erlebt Abenteuer im dichten Wald. Erst spät verlässt sie diese Idylle, die im Krieg gelitten hat. Doch sie kommt wieder zurück, denn ihre Heimat im Bergischen Land trägt sie im Herzen.
Es ist Roman und kein Sachbuch …
… das musste ich mir manchmal ins Gedächtnis rufen, wenn ich auf kleine Unstimmigkeiten stieß. So kann ich kaum glauben, dass an der Front gefallene Soldaten oder im fernen Berlin durch Luftangriff Getötete in ihren Heimatorten beigesetzt werden konnten. Auch wird die Zeit nach der Befreiung ein wenig zu optimistisch dargestellt, wie überhaupt manches zu sehr in Rosa eingefärbt wurde. Aber das alles darf in einem Roman möglich sein, der unterhalten und nicht belehren soll. Trotz alledem wird man die verfolgten Kommunisten nach der Lektüre mit anderen Augen sehen, denn auch sie haben in Konzentrationslagern Folter, Hunger und viele auch den Tod erleiden müssen.
Fazit
Ein wunderbarer Roman für alle, die gerne Familiengeschichten mit historischem Hintergrund lesen. Feinfühlig und manchmal auch humorvoll erzählt Marion Lagoda von einer Kindheit und Jugend im Bergischen Land, während der Nazi-Zeit, und gleichzeitig von der Verfolgung der Kommunisten. Ein absolut lesenswertes Buch!
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