Zehn Heimfahrten und ein Wiederkommen.
Eine junge Frau verlässt ihr Dorf Kosakenberg im Brandenburger Land. Nach dem Abitur hat sie - wie fast alle aus ihrer Klasse - die Zukunft nicht in einem aussterbenden Ort gesehen. Alle zog es in die Ferne.
Die Heimfahrten
Nach Jahren des Umherziehens in wirklich vielen Teilen der Welt findet Kathleen einen Job und eine Wohnung in London. Beides sehr attraktiv, der Job gut bezahlt und renommiert, die Wohnung in ausgesuchter Gegend. Für den Umzug fährt sie in ihr Heimatdorf um sich zu verabschieden und Dinge aus dem Elternhaus mitzunehmen. Dabei ist schon bei dieser Heimfahrt die tiefe Sprachlosigkeit zwischen den Zurückgebliebenen, wie den Eltern, Schwester und Freundin zu spüren. Keiner interessiert sich wirklich für ihre Arbeit als Grafikdesignerin bzw. auch nicht für ihr künftiges Umfeld. Sie halten sie für abgehoben und können sich nicht vorstellen, in was für einer Welt Kathleen lebt.
Sie wiederum hat jeglichen Zugang zu ihrer Familie verloren, für sie sind alle irgendwie zurückgeblieben. Bis auf die Faszination durch neue «alte» Autos und den perspektivlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt es scheinbar kaum Veränderungen in der übriggebliebenen Dorfgemeinschaft.
Das ist mir jedoch zu pauschalisiert dargestellt. Hier wird die Autorin der übriggebliebenen Landbevölkerung und ihren Initiativen nicht gerecht. Da hätte ich mir eine differenziertere Darstellung gewünscht.
Die Heimfahrten der Erinnerungen
Kathleen hat sich in ihrer Arbeit bzw. Leben in London eingerichtet. Eine Liebschaft namens Oktavio, den sie aus Argentinien importiert hat, ist die einzige, aber auch nur kurzfristige Abweichung. Die Arbeit manchmal bis spät in die Nacht, die Treffen mit den Kollegen in den immer gleichen Bars und das Essen gehen in immer den gleichen Restaurants sind ihr Leben.
Es gibt aber immer wieder Anlässe, nach Hause zu fahren. Mal sind es Feiertage, mal ist es eine Hochzeit einer Schulkameradin, eine Beerdigung aber auch mal ein Paket von der Mutter, die sie veranlasst, vergangene Zeiten im Dorf wieder lebendig werden zu lassen. Heimfahrten sind also nicht nur Fahrten im wörtlichen Sinne, sondern auch Erinnerungen, die kommen, wenn sie mit der Mutter am Telefon redet oder eben das Paket.
Dabei spürt der Leser förmlich diese Liebe zu ihrem Heimatdorf, die sie zu Beginn komplett negiert hat. Sie ist doch da und wird fast schmerzlich als die Mutter das Haus verkauft. Damit ist, zum Schluss bis auf die Gräber ihrer Großmutter und Mutter nichts mehr da, was eine Bindung hervorrufen könnte. Das Haus verkauft an ihre ehemalige beste Schulkameradin und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, ist es nicht mehr wert angesehen zu werden.
Das Fahrrad
Mit dem Tod der Mutter, so glaubt sie, ist das letzte Band zur Heimat gerissen. Erst als die Telefonate mit ihr ausbleiben, wird diese Zwiesprache von ihr vermisst. Die Tanten, die sich um den Nachlass gekümmert haben, haben ihr als Erbstück das Fahrrad der Mutter überlassen. Mit diesem Fahrrad, erst innerlich abgelehnt, dann doch genutzt, gelingt es Kathleen eingefahrene Wege zu verlassen. Sie entdeckt London und vor allem sich selbst neu.
Das Heimatdorf hat sie nicht vergessen, sie bekommt einen Gruß und eine Einladung nach Brandenburg. Ob sie diese wahrnimmt und sich damit den erlittenen Verlusten stellt, bleibt offen.
Sabine Rennefanz 1974 in Beeskow geboren, arbeitet als Journalistin, Publizistin und ist Autorin des Bestsellers «Eisenkinder die stille Wut der Wendegeneration». Das vorliegende Buch könnte als eine Fortentwicklung in dieser Thematik betrachtet werden.
Fazit
Das Buch erzählt von dem Versuch, der Vergangenheit zu entfliehen, so weit wie möglich, um als Fremder wieder am ursprünglichen Ort zu sein. Vielleicht ist es nur durch die Erinnerung möglich, das Vergangene zu verarbeiten. Dann ist es aber nicht mehr fremd, eher bewahrend. Einfühlsam erzählt, mit wunderbarer Charakterisierung der Menschen und starken Bildern aus einem brandenburgischen Dorf.
Deine Meinung zu »Kosakenberg«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!