Ein klarer Tag

Ein klarer Tag
Ein klarer Tag
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André C. Schmechta
891001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2024

Die Geschichte einer besonderen Annäherung.

Finanzielle Nöte zwingen John Ferguson, Pfarrer der neuen schottischen Freikirche, ein herausforderndes Angebot anzunehmen, das ihn fernab des Festlandes bringen wird. Im Auftrag eines Gutsbesitzers soll er den letzten auf einer einsamen Shetlandinsel lebenden Bewohner vertreiben und nach Aberdeen bringen, damit das Land fortan gewinnbringender genutzt werden kann.

Einsamkeit, Sehnsucht, Veränderung

Obwohl es gegen die Moral von John verstößt und trotz Bedenken seiner Frau Mary, willigt er ein. Die raue See während der Überfahrt soll nicht das schlimmste Übel sein, das ihm widerfährt. Denn auf der Insel angekommen stürzt er und verletzt sich schwer. Erst nach Tagen erwacht er aus der Bewusstlosigkeit und sieht sich seinem eigentlichen Ziel gegenüber: dem wortkargen Ivar. Die besondere Geschichte einer Annäherung beginnt.

„Ein klarer Tag“ ist im Jahr 1843 verortet. Zu der Zeit waren die sogenannten „Clearances“ schon lange im Gange und haben große Teile der Bevölkerung aus dem schottischen Hochland vertrieben, damit deren Ländereien von reicheren Gutsbesitzern für die lukrative Schafzucht genutzt werden konnten. Zugleich nahmen bedeutende Umwälzungen der Kirche konkrete Formen an. Die Einbettung der Geschichte in diesen historischen Kontext, liefert den Nährboden für die Ambivalenz von John und die weitere Entwicklung der Ereignisse. Beim ersten Aufeinandertreffen ahnt Ivar nicht, welche Motivation den Fremden auf die Insel führt. Er versorgt den Schwerverletzten vorbehaltlos. John hingegen wird unmittelbar in einen Konflikt geworfen. Und er wird eine Entscheidung treffen müssen.

Auf nur 220 Seiten gelingt es Carys Davies die Handlung zu verdichten, dennoch klare und lebendige Bilder zu schaffen und zugleich tiefsinnigere symbolische Motive zu verankern. Sie fängt die schroffe Natur der Insel mit kleinen Details wunderbar ein. Die Gedanken und abtastenden Beobachtungen von Ivar und John bringen uns die unterschiedlichen Gefühls- und Lebenswelten nahe. Da Ivar hier draußen in der Einsamkeit eine alte, nicht geläufige Sprache nutzt, können beide einander nicht verständigen. Sie müssen Wege suchen, das zu ändern und sie werden sie finden. Schon nach wenigen Seiten gerät aus der fragilen Zweisamkeit ein einnehmender Mikrokosmos, in dem die beiden Männer beginnen sich anzunähern.

Die aus Wales stammende und heute in Edinburgh lebende Autorin verzichtet auf überzogen inszenierte Höhepunkte. Sie behält einen erstaunlich ruhigen Rhythmus in ihrer Geschichte bei. Feinfühlig und unaufgeregt ist auch ihre Sprache - für uns wunderbar übersetzt von Eva Bonné. Das bedeutet keineswegs, dass es hier keine packenden Momente gibt. Da ist vor allem der dramatische Sturz von John. Aber es gibt noch weitere Momente, die uns aufwühlen und mitfiebern lassen. Sie markieren vor allem emotionale Wendepunkte der Figuren. Während uns Ivar und John ans Herzen wachsen, sich behutsam eine Freundschaft zu entwickeln scheint, wird diese aber zugleich wieder auf die Probe gestellt. Unterdessen macht sich Mary in der Ferne mehr und mehr Sorgen, ob es eine richtige Entscheidung war, den Auftrag überhaupt anzunehmen.

Fazit

„Ein klarer Tag“ ist ein wunderbarer kleiner, aber erfüllender Roman. So sehr wünschte ich mir, ich hätte noch viel länger mit Ivar und John auf der abgelegenen Shetlandinsel verweilen können. Carys Davies wählt ein für die Geschichte passendes Ende, das uns aber umso mehr mit Fragen und eigenen Gedanken zurücklässt.

Ein klarer Tag

Carys Davies, Luchterhand

Ein klarer Tag

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