Geister weinen nicht

Geister weinen nicht
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Monika Wenger
851001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2024

Die Folgen von sich öffnenden Türen.

Ane Riel hat eine wunderbare Geschichte über Liebe und Freundschaft geschrieben. Sie erzählt von vielen kleinen seelische Verletzungen und von Boshaftigkeiten. Auf charmante Art und Weise zeichnet die Autorin das Bild ihrer Protagonistin, die im Grunde ein einfacher und friedfertiger Mensch ist. Trotzdem scheint sie ein schreckliches Geheimnis zu hüten.

Ein Junge und ein Hund erobern Almas Herz

Alma lebt allein in ihrem Haus am Ende einer Sackgasse. Nicht nur ihre fortschreitende Demenz macht ihr zu schaffen. Auch ihr Körper kämpft mit den Alterserscheinungen. An manchen Tagen ist sie so verwirrt, dass ihr nur noch ihre Notizen helfen, das Richtige zu tun. Überall stehen Hinweise, was sie nicht vergessen darf. Zum Beispiel Essen und Trinken. Die Post stapelt sich auf dem Boden vor der Haustür, denn Alma kann schon lange keine Briefe mehr mit ihren Händen öffnen. So reiht sich Tag an Tag. Mal sind sie besser, mal sind sie schlechter. Und Alma ist taub geworden. Ein Grund mehr für sie, sich völlig von der Aussenwelt zurückzuziehen. Nur eines weiss sie mit Sicherheit: Sie hatte einmal einen Mann namens Otto. Eines Tages sieht sie durch ihr Küchenfenster einen kleinen Jungen mit seinem Hund vorbeigehen. Etwas berührt Almas Herz.

«Lächeln bedeutet nicht immer Freude, das wusste sie wohl. Lächeln bedeutet auch Trauer, Trost. Aber es ist doch ein Lächeln, dachte sie, und in jedem Lächeln wohnt eine Wärme. Ein kleines Glück, etwas, das ist oder war oder kommen wird.»

Mit Keksen versucht sie, erst den Hund und dann den Jungen zu sich zu locken. Obwohl Alma nichts hören kann, gelingt es den beiden, sich zu verständigen. Eine wunderbare Freundschaft nimmt ihren Anfang. Mit dieser Begegnung und der menschlichen Wärme kehrt auch Almas Gedächtnis teilweise zurück. Sie erinnert sich plötzlich ganz deutlich an ein Ereignis in der Weihnachtszeit.

Kleine und grosse Verletzungen

Ane Riel nutzt geschickt die Symbolik des Türöffnens. Die kranke Frau ahnt, dass sie etwas Wichtiges vergessen hat. Bedrückendes und Schweres liegt im Raum. Doch die Erinnerungen sind flüchtig. Mit dem Erscheinen des Jungen und seines Hundes wendet sich Alma wieder mehr dem Leben zu. Die Autorin beschreibt diese Atmosphäre unglaublich präzise und gleichzeitig mit subtilem Humor, dass es eine Freude ist. Es sind kleine Erinnerungsfetzen, die nach und nach Almas Leben erzählen. Das Bild von ihr wird immer differenzierter. Zunächst ist das Ziel der Geschichte nicht erkennbar. Sie plätschert vor sich hin, bis sich unerwartet eine Spannung aufbaut, die einen nicht mehr loslässt. Kleine Hinweise liegen wie Kieselsteine auf dem Weg. Ane Riels beherrscht die Kunst, den Leser ganz allmählich an die wahre Geschichte heranzuführen.

Fazit

Eine Geschichte voller Kontraste. Sie ist nie düster, lebt vor allem vom schwarzen Humor und den Gefühlen ihrer Protagonistin. Doch hintergründig zeigt sie die vielen kleinen seelischen Verletzungen, die sich Menschen zufügen können. Ane Riel erzählt brillant und mit viel Gespür für Spannung. Und sie hat einen Blick für die Eigenheiten ihrer Figuren und weiss sie in Worte zu fassen.

Geister weinen nicht

Ane Riel, Penguin

Geister weinen nicht

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