Der Stich der Biene

Der Stich der Biene
Der Stich der Biene
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Sandra Dickhaus
621001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2024

Langatmig, sprachlich hart und wenig humorig.

„Im Nachbarort hatte ein Mann seine Familie umgebracht.“ So beginnt der 700 -Seiten-Roman von Paul Murray, von dem man ab dem ersten Satz eine Menge erwartet. Dabei geht es um Familie Barnes, wohnhaft in einer irischen Kleinstadt, die ein alles andere als harmonisches Leben führt. Cass, 18 Jahre alt und eigentlich eine sehr gute Schülerin, wird durch die Schwierigkeiten, in denen ihre Eltern stecken, mit in den Abgrund gerissen. Ihr Vater, Dickie Barnes, betreibt ein Autogeschäft, das aber kein Geld mehr einbringt. Ihre Mutter wird immer empfänglicher für die Anbaggerversuche des attraktiven Rinderzüchters Big Mike. Statt etwas gegen diese Probleme zu unternehmen, baut Dickie einen Bunker mitten in den Wäldern. Cass versucht dem Ganzen zu entfliehen und schmiedet den Plan, sich bis zu ihrem Schulabschluss jeden Tag mit Alkohol volllaufen zu lassen. Ihr Bruder PJ will abhauen. Alles steuert auf ein fulminantes Finale zu …

Spannende Ausgangsfragen münden in ausufernde Schilderungen

Murray bringt alle Voraussetzungen mit ein: einen Pleitegeier, der mit seinem Autoverkauf scheitert, eine Frau, die sich für die Attraktivste der Stadt hält, eine Streberin auf Abwegen und einen Jungen, den das Ganze tief trifft. Jede Figur hat mit sich selbst zu tun, versucht eigens mit der schwierigen Situation umzugehen und schmiedet einen Plan. Dabei geht es um das Entfliehen aus der vermeintlichen Kleinstadtidylle, in der man immer den Schein wahren muss und jeder jeden kennt. Eine ganz zentrale Frage des Romans ist: Wann hat das Ganze begonnen? Wieso schafft es die Familie nicht, sich aus dem Wirrwarr zu befreien?

Spannende Fragen, deren Umstände Murray hier aber teilweise sehr langatmig erzählt. Die ausufernden Schilderungen so mancher banalen Situation des Kleinstadtlebens stören beim Lesen und langweilen. Allerdings gelingt dem Autor dabei etwas ganz Geschicktes, denn er lässt jedes Familienmitglied für sich selbst sprechen. So schildern verschiedene Figuren anhand ihrer eigenen Erfahrungen aus unterschiedlichen Sichtweisen und mit eigenem Wissen den Abstieg der Familie.

Zu Beginn ist es Tochter Cass, die erzählt, wie sie ihre beste Freundin Elaine kennen und mögen gelernt hat. Allerdings wendet diese sich in der schwierigen Situation immer mehr von ihr ab. Cass´ Schilderungen haben dabei etwas Wiederholendes und strengen beim Lesen nach einer Weile an.  Doch schon in diesen Abschnitten wird die Frustration aus der Sicht einer jungen Erwachsenen deutlich. Auch ihrem kleinen Bruder geht die Situation sehr nahe, wie man im Anschluss erfährt. Bei den Eltern erleben wir in Rückblenden viel von ihrer Vorgeschichte, so auch von dem Stich einer Biene, der dem Roman seinen Titel gibt. Anführungszeichen verwendet Murray während der gesamten Handlung nicht. Die Interpunktion fehlt bei der Perspektive der Mutter.

Vielgelobter Humor fehlt ebenso

Trotz oder gerade wegen all dieser Besonderheiten ist es schwierig, in die Handlung hineinzufinden und die Charaktere zu fühlen. Was genau Schwierigkeiten bereitet, ist kaum zu benennen. Auch wenn der Perspektivwechsel erfrischend wirkt, so bleibt gerade die Achtzehnjährige Cass fremd. Den vielgelobten Humor zu entdecken ist mir ebenfalls schwergefallen, denn das Ganze wirkt eher bedrückend und düster auf mich; sprachlich finde ich es teils sehr hart formuliert. Das gesteckte Ziel, bis zum Finale durchzuhalten, erwies sich für mich nur schwer erreichbar, vielleicht, weil das Ganze ziellos wirkt, der Roman wenig sympathische Charaktere anbietet, die zudem auch nicht miteinander interagieren.

Fazit

Der Roman ist thematisch ansprechend, denn es geht um das Bewahren des äußeren Scheins, festgesetzte Rollenbilder, Homosexualität, Gewalt und Enttäuschung. Wer einen langen Geduldsfaden besitzt, über so manche Länge hinweglesen kann und den gewöhnungsbedürftigen Schreibstil mag, dem könnte das 700-Seiten-Werk gefallen.

Der Stich der Biene

Paul Murray, Kunstmann

Der Stich der Biene

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