Gelungener Roman über die israelische Gesellschaft.
S. pendelt zwischen ihrem Wohnort Tel Aviv und Jerusalem, wo sie nachts arbeitet. Sie hat nicht immer in Israel gelebt, kennt den Staat aber durch viele Besuche mit ihrem Großvater. Dieser war nach der Shoah hierher ausgewandert, lebte ein offenes Leben ohne Ressentiments. Aber „sein“ Israel gibt es nicht mehr. Die Überlebenden der Shoah werden immer weniger und damit die Menschen, die die Sehnsucht nach ihrer Heimat mit Rosenbüschen kompensieren wollten oder nie mehr Deutsch sprachen. Von ihnen erzählt S. aber genauso, wie von den Menschen, die sie heute beim Trampen oder Arbeiten trifft: Den orthodoxen Juden der seine Schläfenlocken unter einer Mütze versteckt, während er im Techno-Club tanzt; den Beduinen Abdallah, der dem jüdischen Siedler Rafi zum Verwechseln ähnlich sieht; dem Rabbi, der ganz unorthodoxe Meinungen vertritt oder dem etwas weltfremden Schauspieler, mit dem sie zusammen wohnt. Israel ist ein Land mit vielen Problemen, aber auch mit vielen Naturschönheiten und noch mehr sehr interessanten Menschen. Von allen erzählt S.
Debüt mit autobiografischen Zügen
Sara Klatt ist 1990 in Hamburg geboren und auch dort aufgewachsen. Ihr Großvater überlebte die Shoa und emigrierte von Berlin nach Jerusalem, kam aber später wieder zurück und lebte dann in Hamburg. Gemeinsam mit ihm erkundete sie Israel, lernte es mit seinen Augen sehen. Mit 21 Jahren zog sie das erste Mal nach Tel Aviv, danach immer wieder. „Das Land, das ich dir zeigen will“, ist ihr Debüt. Es ist ein Roman, aber einer mit vielen autobiografischen Zügen. Natürlich sind manche Figuren fiktiv, manche Handlungen mit Sicherheit auch. Aber wer und was genau, kann man nicht sagen, denn immer wieder nimmt S. Bezug auf Klatts Biografie und ihr Leben in Israel. Damit ist das Buch zwar ein Roman, doch gleichzeitig auch ein Bericht über den familiären Hintergrund der Autorin und über die gesellschaftliche Situation in diesem Staat – die übrigens sehr oft ganz anders ist, als man als Außenstehender vermuten würde.
Israel from Inside
Man muss beachten, dass der Roman schon geschrieben war, als am 7.10.2023 der Überfall auf Israel durch die Hamas geschah. Vielleicht ist die Gesellschaft heute eine andere als vor diesem Ereignis. Was Sara Klatt aber schildert, ist ein Staat dessen Zusammenleben in der doch sehr unterschiedlichen Bevölkerung oft ganz anders abläuft als generell angenommen. Unsere Wahrnehmung von Israel ist durch die Berichterstattung globaler Medien geprägt oder von den Maßnahmen und Meinungen der israelischen Regierung beeinflusst. Wie die Menschen aus dem israelischen Kernland oder dem Westjordanland das alles wahrnehmen und versuchen miteinander zu leben, wissen wir oft nicht. Klatts Buch kommt gerade zur rechten Zeit, denn es zeigt auf manchmal sehr humorvolle Weise, wie Leben in Israel aussehen kann. Sie zeigt die Strenge der Orthodoxen aber auch die Liebe der Beduinen zu „ihrer“ Wüste. Sie entführt in das Jerusalemer Nachtleben, in dem alle irgendwie vorkommen und macht deutlich, dass viele einfach nur zusammen leben wollen ohne immer wieder an das doch vorhandene Anderssein erinnert zu werden. Und es gibt natürlich immer noch Menschen, die aus Deutschland geflüchtet sind – entweder rechtzeitig vor der Shoah oder als Überlebende danach. Sie sehen den Staat Israel und das Leben mit den Arabern manchmal anders als die jüngeren Generationen. Alles das beschreibt Klatt auf eine fesselnde und gleichzeitig sehr informative Art.
Menschen stehen im Mittelpunkt
Es gibt auch viele Hinweise auf die atemberaubende Natur Israels, doch im Mittelpunkt stehen die Menschen. Allerdings scheint S. mehr mit Männern als mit Frauen zu tun zu haben, denn die werden doch nur sehr am Rande mal erwähnt. Und selbst die Männer scheinen sehr individuell zu sein. Ohne Macken, und manchmal fast schon gestört, kommt hier niemand weg. Vielleicht aber braucht es diese kleinen Übertreibungen, um die Vielfalt der israelischen Gesellschaft deutlich zu machen. Und natürlich werden die Probleme Israels angesprochen, das doch so ganz anders ist als andere Staaten.
Schon das ganz normale Zusammenleben kann Probleme bereiten, wenn man z.B. die unterschiedlichen Zonen durchqueren will oder einfach nur von Jerusalem nach Bethlehem fahren möchte. S. erzählt von alledem und Klatt lässt es sie auf eine angenehme, unterhaltsame und sehr humorvolle Weise tun. Selbst wenn der Stil am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig ist, kann man das Buch bald schon nicht mehr aus der Hand legen und ist versucht, die über 310 Seiten in einem Rutsch zu lesen. Sehr schön ist auch das anhängende Glossar, denn natürlich kommen jede Menge Begriffe vor, die Nicht-Juden oder Nicht-Araber vielleicht nicht geläufig sind.
Fazit
Ein gelungenes Debüt, das mit autobiografischen Zügen ein Israel porträtiert, das es so vielleicht nach dem 7.10.2023 schon nicht mehr gibt. Fesselnd, informativ und mit viel Humor ist der Roman von Sara Klatt ein wertvoller Einblick, den sich niemand entgehen lassen sollte, der sich für Israel interessiert.
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