Gotthard

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Carola Krauße-Reim
791001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2024

Präzise skizzierte Schicksalsgemeinschaft am Gotthard.

Fritz Bergundthal reist von Berlin ins Schweizerische Tessin. Er will die Züge auf der Gotthard-Strecke fotografieren. Als Trainspotter kann er sich nichts Schöneres und Aufregenderes vorstellen. Doch dann lernt er Dora und ihren Mann Aldo kennen – beide ebenso verschroben, wie für Fritz exotisch. So wie sie, haben alle im Tal mehr oder weniger mit dem Bau des Basistunnels zu tun. Die Arbeiter Tonino, Oberholzer, Filz und Flavia, die burschikose Tochter von Dora und Aldo, arbeiten direkt auf der Baustelle und die Sexarbeiterinnen des Alabama indirekt. Alle haben Geheimnisse und leiden an einer diffusen Einsamkeit. Doch ein Entkommen daraus ist nicht so einfach.

Der Gotthard

Schon im Mittelalter nutzte man den Übergang im Gotthardmassiv um die Alpen zu durchqueren. Der Saumweg wurde zwischen 1820 und 1830 zur Straße ausgebaut, danach folgte 1882 die Gotthardbahn, 1980 wurde der Straßentunnel eröffnet und 2016 der Gotthard-Basistunnel. Dessen Bau ist das Thema des Buches, aber nur scheinbar, denn im Vordergrund stehen die Menschen, die in irgendeiner Art einen Bezug zu diesem Tunnelprojekt haben.

Del Buono und ihre Menschenkenntnis

Die Autorin schreibt seit 2008 Bücher, in denen Menschen den Mittelpunkt bilden. Mit einer zielgenauen Präzision zeigt sie auf die Probleme, die ein Miteinander haben kann. Sie bohrt ganz tief in die Psyche der Figuren und legt den eigentlichen Menschen, ohne seinen schützenden Kokon, Schicht für Schicht frei. So auch in „Gotthard“, das bereits 2015 erstmals erschien.

Die Gemeinschaft im Tal scheint geschlossen zu sein. Doch jeder, der dazu gehört, ist auch eine Insel für sich. Tonino, Oberholzer, Filz, Flavia, Dora, Aldo und auch der zugereiste Bergundthal sind ganz unterschiedliche Charaktere, die mit ihrer ganz persönlichen Lage zurechtkommen müssen und ihr wahres Ich im Inneren verschließen. Diese Figuren werden lange vorgestellt, Einblicke in ihr Seelenleben inklusive. Es wird immer offensichtlicher, wie die Schicksale miteinander verknüpft sind.

Ganz zum Schluss kommen dann noch zwei Paukenschläge, die erst einmal fassungslos machen. Nach dem Verdauen des ersten Schreckens, zeigt sich das ganze schriftstellerische Können del Buonos, die das Geschehen lange vor sich hinplätschern lässt, den Figuren allen Raum gibt, nur um dann die Handlung auf ein ungeahntes Hoch zu treiben.

Ein Tag und mehrere Perspektiven

Bis auf das Schlusskapitel behandelt das Buch einen einzigen Tag. Stundengenau wird dieser Tag aus den Perspektiven der Protagonisten und Protagonistinnen erzählt. So lernt man diese bis ins tiefste Innerste kennen. Gleichzeitig erfährt man auch sehr viel über den Bau des Basistunnels und über die unterschiedlichen Züge, die den Eisenbahn-Tunnel nutzen. Das kann zuweilen enervierend langweilig sein, gehört aber auch zur Charakterisierung, denn beides bestimmt die diversen Leben. Del Buono bedient sich einer schnörkellosen Sprache, die präzise und gleichzeitig anziehend ist. Sie versteht die hohe Kunst aus Wörtern fesselnde Geschichten zu weben.

Fazit

Zora del Buono versteht es aus Fakten und Schicksalen ein dichtes Gemisch zu weben, das faszinierend und packend ist. „Gotthard“ ist dafür der beste Beweis. Die psychologische Tiefe dieses Romans dürfte jeden faszinieren, der gerne den Graubereich des Zwischenmenschlichen erkundet.

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