Moosflüstern

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Carola Krauße-Reim
881001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2024

Muttersuche und Selbstfindung.

Mit über 40 Jahren erfährt Heinrich Lieber, dass Vreni nicht seine leibliche Mutter ist, sondern, dass diese gerade verstarb und das auf Island. Heinrich macht sich auf den Weg, um dieser Frau nachzuspüren, die 1949 zusammen mit 200 anderen Frauen aus dem zerstörten Deutschland nach Island fuhr, um dort auf einem abgelegenen Bauernhof zu arbeiten. Für seinen Roadtrip hat sich Heinrich eine schwierige Zeit gewählt, denn er hat als Bauingenieur einen folgenschweren Fehler begangen.

Der Autor und Island

Joachim B. Schmidt wurde 1981 in der Schweiz geboren. Nach dem Schulabschluss begann mit einer Urlaubsreise seine Faszination für Island. Heute lebt er in Reykjavík und hat die Isländische Staatsbürgerschaft. 2010 gewann er einen Schreibwettbewerb und startete damit seine sehr erfolgreiche Karriere als Schriftsteller. Seine Romane fanden stets großen Anklang bei der Leserschaft und wurden teilweise ausgezeichnet. „Moosflüstern“ erschien bereits 2017 und wurde nun vom Diogenes-Verlag noch einmal aufgelegt. 

Ein emotionaler Roadtrip

Heinrich Lieber ist innerlich und äußerlich der Inbegriff eines Spießers: Überkorrekt in der Ausübung seines Berufes; stets auf die Einhaltung von Regeln bedacht und ein in den tradierten Rollen verharrender Ehemann und Vater mit einer Modelleisenbahn im Keller. Seine Erscheinung ist bieder, sein Denken auch. Und dieser Mann macht sich nun auf eine Reise nach Island, mit dem Umweg über Paris, wo er seine bisher unbekannte Tante trifft. Schon der kurze Aufenthalt in dieser Millionenstadt stellt ihn vor Herausforderungen, doch Heinrich merkt auch schnell, dass mehr in ihm steckt, als er selbst und andere glauben. Das zeigt sich in Island noch deutlicher. Er wächst über sich selbst hinaus, macht Dinge, die vorher undenkbar waren. Und er findet Spuren seiner Mutter und seiner drei Halbschwestern. Dafür muss er Reykjavík kennenlernen und in die Westfjorde fahren. Dieser Roadtrip eröffnet ihm ganz neue Horizonte. Der sonst so überkorrekte Heinrich horcht in sich hinein und macht eine enorme Veränderung durch, die allerdings schwerwiegende Folgen für ihn hat.

Tiefsinniges locker erzählt

Es macht einfach Spaß Heinrich auf seinem Weg zu folgen, auch wenn er ziemlich tragisch ist. Joachim B. Schmidt versteht es, leicht, locker und teilweise mit Humor diesen Roadtrip zu schildern, der so viel mehr ist, als ein Urlaub auf Island. Gleichzeitig baut er Rückblicke in das Leben der Mutter ein. Diese kommen unangekündigt und ohne Einleitung immer wieder inmitten von Heinrichs Geschichte. Anna erzählt aus der Ich-Perspektive von ihrer Ankunft auf Island und ihr weiteres Leben bis hin zu ihrem Tod. Dieses wenig bekannte Kapitel deutsch-isländischer Geschichte macht das Buch noch interessanter, denn die 200 Frauen auf der „Esja“ gab es wirklich. Eine von ihnen, Ursula von Balszun, war Vorbild für Heinrichs Mutter. Und natürlich ist wieder einmal Island selbst, mit der unglaublichen Natur und ihren Gewalten eine Figur für sich. Joachim B. Schmidt setzt ganz großes Kopfkino in Gang, wenn Heinrich in die Westfjorde fährt oder er Anna von ihrem Leben dort berichten lässt.

Fazit

„Moosflüstern“ ist ein Roadtrip mit Selbstfindung, der einfühlsam und tragisch zugleich ist. Joachim B. Schmidt versteht es mit seinem angenehmen Stil, die Leserschaft in Bann zu ziehen. Wer den Autor noch nicht kannte, dürfte jetzt neugierig auf mehr von ihm sein.

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