Er könnte immer so weiter erzählen, ich hätte Zeit.
Nach seinen beiden Bestsellern «Der Junge muss mal an die Luft» und «Ich bin dann mal weg» hat Hape Kerkeling seine Geschichte –nun auch die seiner Ahnen – weitererzählt. Er nimmt uns mit in das 17. Jahrhundert, als die «Kerckrings» zu einer der gutbetuchten Familien im damals florierenden Amsterdam gehörten. Die Figuren beruhen aufgrund seiner akribischen Ahnenforschung, also auf wahren Tatsachen, ihre Geschichten sind wohl überwiegend fiktiv. Aber er geht auch immer wieder zurück in seine eigene, wenn man so will, jüngere Vergangenheit. Er liefert spannende Einblicke in das Showgeschäft, das er im Sturm eroberte, als er gerade Anfang Zwanzig war. Sehr berührend ist sein Blick zurück auf seine große Liebe, die er auch in Amsterdam kennen gelernt hat. Er erinnert daran, wie schwer es noch in den 80ern war, sich als schwul zu outen – auch und gerade im Showbusiness.
Bis in das letzte Jahrhundert kehrt er immer wieder zurück zu seinen Vorfahren und – ganz zum Schluss – lüftet er noch ein unglaubliches Geheimnis um die Herkunft seiner Oma Bertha. Ganz nach seinem Motto: »Das Schönste kommt erst noch, wobei das Beste gerade erst begonnen hat.«
Mit Seele und Verstand
Ich gebe zu: Ich bin ein großer Fan von Hape. Und seine Abwesenheit von der Bühne habe ich, wie sehr viele, bedauert. Heute verstehe ich, warum er diesen eher stillen Weg gewählt hat, warum das ganz große, laute Showbusiness nichts für ihn war. Nach der Lektüre seiner Bücher versteht man es. Er hat so manchen Schicksalsschlag verkraften müssen. Und doch ist er nicht daran zerbrochen und findet immer wieder eine Perspektive auf die Welt, die nicht nur klug und humorvoll ist, sondern mit den Jahren immer versöhnlicher. Eine Einstellung zum Leben, die in diesen Zeiten sehr wohltuend ist.
Folgt man ihm auf seinen Reisen auf dem Jakobsweg oder in seine Vergangenheit, erlebt man spannende Geschichten, die alle etwas mit dem Menschsein zu tun haben. Seine Art, auf die Welt und seine Bewohner zu schauen, ist voller großer und kleiner Weisheiten. Sie sind bodenständig und zeugen von jener Dankbarkeit, die seinem Naturell ganz natürlich zu entsprechen scheint. Davon nehme ich gerne etwas mit, von dieser Art auf Menschen zu schauen und nicht alles so ernst zu nehmen. Aber zugleich schaut er wach und mit voller Aufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Dinge des Leben– und manchmal scheint in der Rückschau eben doch alles einen Sinn zu ergeben. So auch in diesem Buch.
Tanz durch das Leben
Die Kerckrings, die vor ihm da waren und ein sehr gutes Leben im florierenden Amsterdam des 17. Jahrhunderts hatten, erweckt er mit viel Einfallsreichtum zum Leben. In ihren Lebensgeschichten erzählt er, z.B. wie ein «schwarzes Schaf» doch seinen Weg findet, wie man seine Geschäfte am Laufen hält und wie man unter dem gesellschaftlichen Radar bleiben kann, indem man das ganz Offensichtliche ebenso offensichtlich verschleiert. Hauptsache, man tut so, als ob.
Sie haben sich verliebt, haben zu ausgiebig dem Wein und dem guten Essen gefrönt, mussten sich neuen Herausforderungen – vom ersten Börsencrash bis zu Leerverkäufen – stellen. Nicht alle konnten mit der neuen Zeit Schritt halten. So manche Tulpenzwiebel, in die man sein letztes Vermögen investiert hatte, war am Ende wertlos. Die erste Blase war geplatzt.
So stellt Hape sich ihre Leben damals vor und ich bin mir sicher, er liegt gar nicht mal so sehr daneben. Sehr geschickt durchbricht er seine romanhafte Erzählung, indem er vorausgreift und seine Leser/innen neugierig macht, um dann wieder zu dem vorherigen oder einem ganz anderen Erzählstrang – etwa zu dem Beginn seiner Karriere – zurück zu kehren. Das macht er so leichtfüßig und souverän, dass man ihm buchstäblich an den Lippen hängt.
Es wird deutlich, so anders waren die Menschen damals gar nicht. Natürlich, sie mussten sich noch mit Dingen herumschlagen, die für uns heute keine Rede mehr wert sind. Aber ihr Vermächtnis reicht noch in diese Zeit, auch was Hape selbst betrifft; denn aus einem ihm damals unerfindlichen Grund verliebte Hape sich schon als Kind in Amsterdam und fühlte sich dort sofort heimisch. Daher wohl auch seine Liebe zum Kaffee und das unausgesprochene Familienmotto der Kerckrings, ein Geheimnis wahren zu müssen - und fragt uns, seine Leser, welches Motto vielleicht die eigene Familie haben mag?
Sein Geheimnis zu dieser Zeit war, dass er schwul ist. Manche erinnern sich vielleicht noch, wie Rosa von Praunheim Prominente outete; er tat dies auch über Hapes Kopf hinweg. Nach wie vor ist das kein schöner Zug, der ihn damals sicherlich verletzt haben muss. Womit er zurück auf die 80er Jahre verweist, als seine Karriere gerade durch die Decke ging, wie man so schön sagt. Er erzählt, wie der WDR ihm empfahl, eine Frau zu heiraten. Es ist verständlich, dass er darauf nicht einging, sich nicht verleugnen wollte. Noch so jung, gerade mal Anfang 20 trifft er schließlich – wie kann es anders sein? – in Amsterdam seine große Liebe: Erstmals erzählt er, wie sie ihren Anfang nahm, wie groß das Glück für ihn war, dass er es selbst kaum glauben konnte, und wie tragisch sie enden musste.
Und dann wieder geht er– man weiß gar nicht wie man dahin gelangt ist - in seine Kindheit zurück, zu seinem Sprachurlaub in England, bei dem es wahrlich nicht gerade schön zuging – zumindest am Anfang nicht – sich aber sehr unterhaltsam entspinnt. Auch davon erzählt Hape, in seiner pointiert-witzigen Art. Zudem kommt hier sein großes Sprachtalent wieder einmal wunderbar zur Geltung.
Doch sein größtes Talent ist es wohl, das Auf und Ab des Lebens so unangestrengt und leicht zu erzählen – und zugleich so berührend. Weint man mit ihm über den Verlust seiner großen Liebe, muss man schon im nächsten Moment über die doch sehr exzentrischen Engländerinnen lachen. Ausgerechnet seine Gastmutter hasst die Deutschen; doch Hape schafft es, ihr auf seine unnachahmliche Art klarzumachen, dass es auch Ausnahmen gibt. Natürlich war seine niederländische Abstammung dabei durchaus hilfreich.
Seine nachdenkliche, kluge und zugleich humorvolle Art macht das Buch durchweg unterhaltsam, so dass ich zu keinem Zeitpunkt unaufmerksam war. Nicht nur, dass er wirklich Verblüffendes aus seiner Familiengeschichte offenbart, auch seine Rückblicke in die jüngere Vergangenheit als junger Entertainer liefern viele spannende Einblicke. Da erfährt man so einiges, was hinter den Kulissen vor sich ging. Wie Hape seinen schnellen Aufstieg empfand und dass er seinem Vater, der ihn in all diesen Belangen beriet, dankbar war ihn vor zu großen Schritten bewahrt zu haben.
Hape hat sich für den leiseren Weg entschieden und das ist auch gut so. Trotzdem hoffe ich, dass er nach diesem Buch keine allzu lange Pause einlegt. Ich bin gespannt, was er als nächstes erzählt.
Auch das Hörbuch, natürlich von ihm selbst gesprochen, ist besonders zu empfehlen. Sein Tonfall und sein schauspielerisches Talent tragen seinen Roman ganz wunderbar.
Fazit
Er ist genial und witzig zugleich, schaut den Menschen so genau zu, dass es immer wieder verblüfft. In allem, was er so scheinbar einfach erzählt, mit dem er uns mitnimmt in sein Leben, liegt so viel Weisheit, dass man immer etwas aus seinen Büchern mitnehmen kann. Mal geht es fröhlich bergauf und mit ein bisschen Galgenhumor auch ein Stück bergab. Doch die ganz dunklen Stunden versteht Hape so eindringlich zu erzählen, dass es auf direktem Weg das Herz berührt. Auch er hat seinen Weg gefunden zu einem, wie ich finde, großartigen Autor.
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