Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz
Ein Foto für ein ganzes Jahrhundert
Richard Powers Erstlingswerk, 1985 veröffentlicht, erscheint nun in der deutschen Übersetzung bei S. Fischer. Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz erzählt drei unterschiedliche Geschichten. Wir begleiten einen Ich-Erzähler, drei junge Bauern und Peter Mays. Die Geschichten wechseln sich regelmäßig ab und scheinen strikt voneinander getrennt zu sein.
Fäden knüpfen
Der Ich-Erzähler beginnt das Buch mit der Entdeckung der Photographie von August Sander aus dem Jahr 1914. Im Museum in Detroit begegnet er der Aufnahme und hat den Eindruck, dem 20. Jahrhundert ins Gesicht zu schauen. Aus diesem Erlebnis entspinnen sich alle weiteren Geschichten. Das Bild fasziniert ihn so sehr, dass er sich im Laufe des Buches immer weiter in die Recherche vertieft. Seine persönliche Geschichte tritt sukzessive zurück. Stattdessen werden die zeitgeschichtlichen Hintergründe der Photographie, die Biographie August Sanders sowie Henry Fords in essayistischen Passagen ausgeführt.
Die drei Bauern treffen wir auf einer matschigen Straße auf dem Weg zu einer Maikirmes. Alle drei - jung, frisch verliebt und von politischem Eifer beseelt - freuen sich auf den bevorstehenden Tanz. Das Datum am Anfang des Kapitels verrät, dass der erste Weltkrieg kurz bevor steht. Er wird das Leben der drei Bauern bestimmen. Ganz unterschiedlich werden sie aus diesem hervorgehen und in überraschender Weise mit den anderen Protagonisten in Verbindung stehen.
Den dritten Handlungsstrang bildet das Leben Peter Mays. Er arbeitet in der Redaktion einer Technikzeitung und ist mehr als gelangweilt von seinem Job. Dies ändert sich erst, als er von einer unbekannten Rothaarigen in Bann gezogen wird. Diese Begegnung hat eine ähnliche Auswirkung wie die Begegnung des Ich-Erzählers mit dem Bild von Sander. Mays begibt sich auf die Suche nach der geheimnisvollen Frau und verstrickt sich in seiner eigenen Familiengeschichte.
Archiv des 20. Jahrhunderts
Den Kern der Geschichten stellt die Photographie August Sanders dar: Die drei Bauern. Wir treffen sie, als das Foto entsteht. Die anderen Handlungsstränge beruhen auf der Recherche über die Hintergründe. Wir erfahren, dass Sander sich zur Aufgabe gemacht hat, einen Bildatlas "Menschen des 20. Jahrhunderts" zu erstellen. Powers stellt uns aus diesen hundert Gesichtern einige in seinem Buch vor und gibt so ein Zeitbild des 20.Jahrhunderts wieder.
Obwohl der Ich-Erzähler und Mays in der Gegenwart leben, tragen sie zur Konstruktion der Vergangenheit bei, indem sie sich intensiv mit ihr und ihren Auswirkungen beschäftigen.
Die einzelnen Fäden der Geschichten werden erst am Ende des Buches miteinander verknüpft. Somit bleibt es auch über 462 Seiten bis zum Ende spannend. Im Sinne der historischen Recherchearbeit, die immer weitere Puzzlestücke zu Tage fördert.
Das könnte trocken klingen. Powers schafft es, die Nachforschung durch teils amüsant geschilderte Lebenspassagen aufzulockern. Stellenweise jedoch sind die biographischen und philosophischen Ausführungen langatmig und zäh.
Das Buch spielt auf vielen unterschiedlichen Ebenen. Neben reinen Biographien widmet der Autor sich der zeitgenössische Kunst, Photographietheorien, historischen Ereignisse und einer Flut von Zitaten. Zuweilen wirkt die Anhäufung von Wissen in Verbindung mit dem Erzählsstrang konstruiert.
Ich fühlte mich an Jostein Gardners Sophies Welt oder Umberto Ecos Im Name der Rose erinnert. Auch hier gibt es mehrere Verständnisebenen, die nicht zwangsweise durchdrungen werden müssen. Bestimmt eröffnet das Buch jenen, die alle Ebenen im Zusammenspiel aufnehmen können, einen tieferen Genuss. Doch auch ohne all das ist Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz lesenswert und regt zur eigenen Recherchearbeit an.
Powers macht mit seinen Geschichten deutlich, was für ihn den Zeitgeist des 20. Jahrhunderts ausmacht. Es ist die "Synchronizität. aller Zeiten zugleich." Fotos sind für ihn Erinnerungen, die man an die Zukunft abgeschickt hat, und der Fotoapparat steht als Sinnbild für die Gleichzeitigkeit.
Die Linse einer Kamera ist ein von zwei Seiten zugängliches Portal, durch das sowohl der Gegenstand des Fotos als auch der Betrachter in eine andere Zeit blicken. Der Gegenstand, der sich der Dauerhaftigkeit des Dokuments bewusst ist, schickt eine Erinnerung an die Zukunft ab. Der Betrachter, der später an diese Erinnerung anknüpft, versucht, das Bild vor dem Verschwinden zu bewahren. Beide sind in diesem Moment anwesend; beiden wird offenbart, dass sie durch die Zeit treiben und diese wie ein Flickwerk zusammensetzen.
Als Leser nehmen wir die Kamera in die Hand und arbeiten mit Powers an dem Flickwerk der Erinerungen.
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