Wohin gehen unsere Gesten?
Die erste Liebe soll jene sei, die man nie vergisst. Und wenn es mit der letzten, auch wenn man 25 Jahre verheiratet ist und eigentlich Silberhochzeit feiern will, nicht zum Besten steht, dann taucht sie aus der Vergangenheit auf, und man weiß plötzlich, mit ihr wäre alles gut gegangen. Als Emilie den Namen Dario in einer Suchanzeige liest, der sie auffordert, so schnell wie möglich nach Genua zu kommen, ist sie nicht mehr zu halten. Egal, ob sie alles für einen romantischen Abend mit dem angetrauten Ehemann hergerichtet hat, egal, ob sie sich den Vorwürfen ihrer beiden Töchter aussetzen wird, Emilie steigt ins Auto und fährt Richtung Italien.
Was nun folgt sind verklärende Erinnerungen an eine zu früh beendete Liebe, die im Abstand der Jahre als etwas erscheint, bei dem Emilie sich selbst ganz nah gefühlt hat. Wie schwierig es auch immer war, Darios Aufmerksamkeit zu gewinnen, am Ende hätte mit ihm all das funktionieren können, was mit Marc, dem Ehemann, so unerfüllt scheint. Allein mit sich und ihren Erinnerungen ist sie seltsamen Begegnungen ausgesetzt, die sie nur darin bestärken, dass es richtig war, Hals über Kopf das traute Heim zu verlassen.
Dazu ist die Liebe doch da, oder? Um einen herauszureißen, einen neuen Glauben an sich zu schenken, Zweifel zu wecken, ob es da nicht doch etwas gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt. Diesen einen Mann, diesen einen Ort. Streckenweise ist Véronique Olmis Roman recht süffisant geschrieben und weht wie eine Sommerlektüre vorbei, die einen schmunzeln lässt. Viele Seiten lang bedient die Autorin die Erwartungen ihrer Leser an eine unbeschwerte Geschichte. Emilies Abwenden ist die Flucht vieler, die sich, nachdem die Töchter erwachsen sind, in ihrem Leben fremd fühlen.
Der Riss in ihr ist allerdings eher behauptet, als dass er sich vor dem Leser ausbreitet. Gab sie gerade noch die romantische Ehefrau mit Kerzenlicht und wohl dosierten Musikstücken zu jedem Gang des Abendessens, wählte sie eben noch das rechte Dessous und plante die Umsetzung der erotischen Spannung minutiös, ist sie nun die Ausreißerin, die in den Augen ihres Mannes und ihrer Töchter Durchgeknallte, die Lügnerin, die einen Besuch bei der Schwester vorschützt. Weil sie nicht weiß, warum sie das tut, was sie tut.
In kurzen, rasch aufeinanderfolgenden Kapiteln stellt Emilie sich Fragen, wie: ob sie jemals auf Marc so gewartet hat, wie sie auf Dario gewartet hat. Das besitzt mitunter Kleinmädchencharme.
Es ist der vierte auf Deutsch erschienene Roman der in Nizza geborenen Autorin. Ihre Geschichten drehen sich um den Mord einer Mutter an ihrem Kind, um die Liebe einer Schriftstellerin zu einem verheirateten Mann, um das Gefühl eines Kindes, das unter der fehlenden Anerkennung des Vaters leidet, um Begegnungen im Hotel, die nicht mehr als Sex sein wollen und doch Erwartungen schüren. Im Zentrum steht bei Olmi wie in Die erste Liebe die Wehmut.
Scott Fitzgerald hat das Unbehagen am eigenen Leben, in dem Essay Der Riss beschrieben, geradezu seziert. Man bekommt den Riss nicht mehr geschlossen, egal, wie sehr man auch danach trachtet. Emilie dabei zu beobachten, wie sie ihrer Hoffnung, ihrer Sehnsucht nachgibt, einem Liebeswunsch unterliegt und in die Freiheit ausbricht, beschreibt die Sucht, für sich ein letztes Mal nach dem Unmöglichen, dem bislang Vorenthaltenen zu greifen.
Obwohl es nie wieder so wie im Moment der ersten Liebe ist.
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