Es waren Habichte in der Luft
Das Individuum im Konfliktverhältnis zur Herrschaft
Nach dem Ersten Weltkrieg, während des finnischen Bürgerkriegs (1918), haben Kommunisten in Finnland die Macht übernommen und führen Säuberungsaktionen durch. Schüler denunzieren Lehrer; die werden verhaftet, ihnen wird vorgeworfen, "abgestandene, gefährliche Dinge zu lehren". Der Russe und Lehrer Stenka, der seit vierzehn Jahren in Finnland lebt, flieht aus dem Gefängnis in Kalaa vor den Bolschewisten ins finnisch-russische Grenzgebiet nach Karelien. Er gibt an, in der Verwaltung eines Sägewerks gearbeitet zu haben und findet Unterschlupf sowie einen schlecht bezahlten Job im Geschäft des Blumenhändlers Leo. Er teilt sich eine Kammer mit Erkki. Die linientreue Manja, Erkkis Verlobte, arbeitet beim Bürgermeister und versucht Erkki zum Verrat Stenkas zu überreden. Erkki jedoch weigert sich. Auch der kommunistische Funktionär Aati, der Furcht und Terror in der Ortschaft verbreitet, will Stenka fassen. Als Erkkis Verlobte einen Auftrag für Aati auf einer Mönchsinsel durchführen soll und ermordet wird, ist Stenka Zeuge, wird aber Tatverdächtiger. Mit Erkki will er über die Grenze nach Russland fliehen. Eine Parallelhandlung um den wahnsinnigen Petrucha und die Mönchsinsel bewegt sich von Anbeginn auf Kollisionskurs zur Haupthandlung.
Der Inhalt von Es waren Habichte in der Luft dürfte zu den bekannteren in Deutschland gehören, seit das Buch zur Schullektüre an Gymnasien zählt. Ebenso dürfte es allein deshalb schon zu den meistinterpretierten Büchern gehören. Zu den Themen und Motiven des an Symbolen und Metaphern reichen Textes, der durch Ernest Hemingway, William Faulkner und Fjodor M. Dostojewski geprägt ist, gehören: Flucht und Heimatverlust, Totalitarismus und Freiheit, Schuld, Pflichterfüllung und der Zwang, Entscheidungen in Extremsituationen treffen zu müssen, Entscheidungen in auswegloser Lage, durch die man sich anderen Menschen offenbaren und sich selbst erkennen kann. Und die Lufthoheit innehabende Habichte kreisen über dem Geschehen als Bild für die allgegenwärtige Bedrohung durch die kommunistischen Jäger. Weiter eignet das Buch sich als Schullektüre durch seinen Umfang und den Charakter einer Parabel.
In Handlungsraum und Personal sehr überschaubar, hat Es waren Habichte in der Luft etwas von einer Novelle oder einem Kammerstück. Lenz kannte Finnland nicht und hat es seiner verlorenen masurischen Heimat nachgestaltet und bis in die Namen fiktive Orte geschaffen. In den sehr schönen Naturbeschreibungen wird die Umwelt zum Akteur, nimmt bisweilen menschliche Züge an. Der historische Hintergrund verbleibt im Bereich nahezu abstrakter Andeutungen.
Siegfried Lenz arbeitete seit August 1948 nachmittags als Redakteur im Feuilleton der Tageszeitung "Die Welt". Im Jahr 1949 begann er mit der Arbeit an seinem Roman, schreiben konnte er nur vormittags. Am 30.1.1950 erschienen Auszüge in der Welt, wo der Text vom 24.10.-25.11.1950 auch als Fortsetzungsroman veröffentlicht wurde. Am 4.1.1951 schließlich kam es zur Erstveröffentlichung in Buchform bei Hoffmann und Campe.
Im Jahr 1996 wurde Es waren Habichte in der Luft in der blauen Lenz-Werkausgabe publiziert. Am verbreitetsten, nicht zuletzt durch den Einsatz als Schullektüre, dürfte die Taschenbuchausgabe von dtv sein.
Am 5.4.2014 vermachte Siegfried Lenz sein persönliches Archiv dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Am 7.10.2014 starb Lenz mit 88 Jahren in Hamburg. Am 18.11.2016 begann die Publikation einer neuen, auf 25 Bände angelegten, Ausgabe der Werke von Siegfried Lenz, genannt Hamburger Ausgabe. Das Editionsprojekt entsteht in Zusammenarbeit des Verlags Hoffmann und Campe mit dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach, dem Seminar für Deutsche Philologie der Georg-August-Universität Göttingen und der Siegfried Lenz Stiftung. Herausgeber sind Günter Berg und Heinrich Detering. Pro Halbjahr sollen zwei bis drei Bände erscheinen, die Ausgabe soll im Herbst 2021 abgeschlossen sein.
Im Vergleich mit anderen Ausgaben von Es waren Habichte in der Luft bekommen die Leser und Leserinnen ein Buch mit einem Umfang von 332 Seiten geboten, in dem der Romantext mit Seite 231 endet und ergänzt wird um einen knapp hundert Seiten langen Kommentar des Inhalts: elf Seiten primär biographisch ausgerichtete Entstehungsgeschichte; zweieinhalb Seiten literarische Referenzen; eine halbe Seite zur Textgrundlage, aus der sich ergibt, dass die Ausgabe zeichengetreu nach der ersten Buchausgabe wiedergegeben wird; 14 Seiten zu Textfassungen; 22 Seiten zu Themen und Strukturen; fünf Seiten zur Rezeption; fünf Seiten Stellenkommentar; 16 Seiten Materialien und Dokumente; elf Seiten Anhang. Das Buch ist in Leinen gebunden, mit einem Lesefaden versehen und kostet 42 Euro.
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